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Die neue GT-Wertung und die kleinen Divisionen

9.8.2010 – Von Ewald Tkocz. Nun ist sie also da, die neue GermanTour-Wertung. Und wie bei allen gesetzlichen Neuerungen und Regeländerungen ist es wichtig, dass gesellschaftliche Randgruppen (Frauen, Jugendliche vor und nach der Pubertät, Sportgreise) über die Auswirkungen informiert werden. Und dies mit allem Unernst, der den „schönsten Nebensachen“ der Welt eben gebührt.

Lieber Andreas Müller,
wir beide werden in der nächsten Saison auf unsere lieb gewonnenen Duelle (Meinerzhagen, Söhnstetten) verzichten müssen. Denn jeder spielt ab 2010/2011 in seinem eigenen „Kästchen“, du bei den Open, ich bei den Grandpas. Natürlich können wir künftig um ein Bierchen spielen, aber ich fürchte, das ist nicht ganz so spannend wie um Punkte.

Lieber Andreas Wegener, lieber Sven Rippel,
nun habt ihr bei der Finow Channel Challenge prima gespielt. Sven wurde Achter in der Open-Klasse und machte sich mit 85 Punkten auf den Weg, Andreas fuhr mit 51 Punkten im Gepäck zurück nach Hamburg. 2011, Jungs, gibt’s 14,90 Punkte, wenn ihr die einzigen Starter in eurer Division seid. Egal, ob ihr Simon oder Kurt in den Sack steckt! 14,90 Punkte.

Lieber Viro, lieber Bill, lieber Hans, liebe Senior Grandmasters und Legends,
ich bleibe noch einmal bei den 14,90 Punkten. Ihr seid ja mit der neuen GT-Wertung sozusagen die Randgruppe der Grandmasters-Randgruppe. Und ihr könnt natürlich für eure – leider viel zu seltenen Auftritte – ein Abonnement beim Tour-Gremium über die 14,90 Punkte für Solo-Starts beantragen. Aber ich persönlich fände es schön, wenn ihr sportliches Asyl bei den Grandmasters beantragt. Denn dort gehört ihr hin. Leistungsmäßig sowieso und menschlich im Besonderen.

Liebe Josephine Jahn, hochgeschätzte Disc Golferinnen,
so ist es richtig. Kucken, wo die meisten Mädels am Start sind. In Eberswalde waren es acht. Josephine hätte jetzt nach der neuen Regelung für ihren Sieg 60 Punkte abgegriffen. Wie wär’s, wenn ihr den European Ladies Cup im nächsten Jahr zu einem B-Turnier umfunktioniert? Beim European Ladies und Gentlemen Cup dürften dann die Männer, die sonst als Caddies mit latschen, einfach mitspielen. Ab 16 Teilnehmerinnen gäbe es dann nämlich 100 Punkte für die Siegerin! Die Jungs können ja trotzdem eure Taschen tragen … Und wenn es euch gelingt, das bei den Berlin Classics noch einmal zu wiederholen, kommt die GermanTour- Siegerin nächstes Jahr aus Berlin oder Potsdam.

Hochverehrte Letztplatzierte, lieber Elmar Stampfer,
ich weiß, Elmar, deine Devise heißt: „Nur nicht Letzter werden!“ Und du bist sportlich natürlich weit, weit von solchen „Betriebsunfällen“ entfernt. Aber die neue GermanTour-Wertung ist geradezu dazu angelegt, die Letztplatzierten in einer Division zu rehabilitieren und zu resozialisieren. Kleines Rechenbeispiel: Wer bei acht GT-B-Turnieren (drei dienen dabei als Ersatz für das A-Turnier im hohen Norden) mit jeweils vier Startern in seiner Division Letzte(r) wird, erhält insgesamt 114,24 Punkte und liegt damit fast gleichauf mit jemandem, der drei dieser Turniere gewinnt (120 Punkte)! Es ist also so, als bekäme man beim Payback einen Gutschein mit dem bis zum Siebenfachen dessen, was man sonst als Letzter der Gesamtwertung erhielte (2 Punkte).

Liebe Kolleginnen und Kollegen im Scheibenwerfen,
stimmt’s, dass ihr es bisher kaum erwarten konntet, bis die Ergebnisse auf discgolf.de veröffentlicht wurden, um zu sehen, wie viele Punkte euch beim gerade gespielten Turnier gut geschrieben wurden? Also ich bekenne mich dazu, auch wenn ich mittlerweile gelernt habe, das – pi mal Daumen – grob zu überschlagen. Aber auch ich werde immer wieder angenehm überrascht, wenn dann ein paar Pünktchen mehr auf GT-Online auftauchen als ich gerechnet hatte. Das ist in der neuen Saison passé. Die Frage, welche Spieler aus anderen Divisionen man oder frau bei einem Turnier hinter sich lassen könnte, braucht uns künftig nicht mehr zu beunruhigen. Ein Blick auf die Startliste genügt. Mit 90 bis 95prozentiger Wahrscheinlichkeit kann jeder Spieler in den kleinen Divisionen laut Wertungstabelle jetzt vorhersehen, mit wie vielen Punkten er von einem Turnier nach Hause kommt. Bei den meist großzügigen Wurfabständen ist es dann (fast) gleichgültig, ob er oder sie die Scheiben am Abwurf nach vorne oder nach hinten wirft. Das ist ein bisschen so, als wüsste man/frau vor einem Fußballmatch, wie das Spiel ausgehen wird und die einzigen Fragen, die offen blieben, wären, wer, wann und wie das entscheidende Tor erzielt.

Liebe Junioren,
die neue Wertung funktioniert nach dem Motto: den (an Punkten) Reichen wird genommen, den (an Punkten) Armen wird gegeben. Ein geradezu sozialistischer Ansatz. Legt man die vier B-Turniere (Hesselbach, Eberswalde, Rüsselsheim, Grebenstein) dieser Saison für die Berechnung zugrunde, läge Sven Rippel nach dem alten Punktesystem mit drei Starts und 280,95 Punkten klar in Führung vor Dominik Stampfer, der bei zwei Starts auf 188,25 Punkte kommt. Dritter wäre Maximilian Tkocz (104,63/drei Starts). Nach der neuen GT-Wertung wäre die Reihenfolge zwar dieselbe, doch der Punkteabstand sähe völlig anders aus: Sven Rippels (129,90) und Dominik Stampfers (99,05) Punktekonto würde halbiert. Auf den Sonderfall bei Sven Rippels Start in Eberswalde – einziger Junior und damit nur 14,90 Punkte – wurde bereits hingewiesen. Maximilian Tkocz (96,92) läge jedoch mit einem Start mehr nur noch um 2,13 Punkte hinter Dominik Stampfer.

Ein ähnliches Beispiel gibt es bei den Damen, bei denen Alessa Schwarz (74,76 Punkte) mit zwei dritten und einem fünften Platz beim punkteträchtigen Finow Channel Challenge nach der neuen GT-Wertung nur noch hauchdünn hinter Christine Hellstern (75,49) läge, die das Heimturnier in Hesselbach gewann und in Rüsselsheim Zweite wurde. Nach der derzeitigen Punktewertung hätte der Abstand fast 30 Punkte betragen.

Das heißt: Vielstarter werden nach wie vor belohnt: Marc Mäding, der bei seinem einzigen B-Turnier-Start in Hesselbach 75,96 Punkte nach der derzeitigen GT-Wertung erhielt, wäre nach dem neuen System nicht mehr Vierter, sondern mit 35,42 Punkten nur noch Siebter der Gesamtwertung. Seinen Platz nähme mit 54,07 Punkten Dominique Saloff (zwei Starts) ein, nach der GT-Wertung dieses Jahres nur Achter wäre. So entsteht ein „Ziehharmonika-Effekt“ gleich in zweierlei Richtung: Bei den Top-Spielern sorgen die größeren Punkteabstände des neuen Wertungssystems dafür, dass zum Beispiel ein Simon Lizotte nicht mehr wie im Vorjahr darum bangen muss, nach sechs Saisonsiegen beim letzten Turnier noch den GT-Gesamtsieg zu verlieren. Auf der anderen Seite „schnurrt“ das Feld dadurch zusammen, dass die Sieger in den kleinen Divisionen nicht mehr so viele Punkte erhalten und die Spieler aus den „hinteren“ Regionen deutlich aufgewertet werden. Der Abstand zwischen dem Führenden und dem Letzten der Gesamtwertung schrumpft – wieder auf der Grundlage der vier B-Turniere dieses Jahres – so von 91,9 auf 64,08 (Grandmaster), von 271,57 auf 110,97 (Junioren) und von 76,49 auf 71,25 (Damen).

Gebrauchsanweisung zur Gebrauchsanleitung

Noch einmal zur Klarstellung. Aufgabe dieses subjektiven Beitrags ist es nicht, die Arbeit des Wertungsgremiums zu kritisieren oder in Frage zu stellen. Hier wurde monatelang um verschiedene Lösungen gerungen und eine wahre Sisyphus-Arbeit geleistet. Auch gelten die Aussagen dieses Beitrags ausschließlich für die kleinen Divisionen (Damen, Legends, Senior Grandmasters, Grandmasters, Junioren) und beleuchten den Aspekt: Wie sieht es mit dem neuen System aus? Und deshalb ist dies eine subjektive Äußerung aus diesem Blickwinkel und erscheint unter der Rubrik O-Ton. Es gibt genug Open- und Masters-Spieler, die für ihre Division Rechenspiele anstellen können und – möglicherweise – zu völlig anderen Schlüssen kommen.

Doch in einigen Gesprächen habe ich festgestellt, dass sich die wenigsten Spieler bisher mit dem neuen GT-Wertungssystem auseinander gesetzt haben, da die Materie ja nun reichlich dröge und „schwer verdaulich“ ist. Ich halte es jedoch für wichtig, sich damit zu beschäftigen. Denn die neue Saison dient vermutlich als Grundlage für die Vergabe der EM-Startplätze 2012. Und da sollte jeder bei seiner Turnierplanung darauf sehen, worauf es verstärkt ankommt: auf die Startliste und die Zahl der Teilnehmer in der eigenen Division.

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